Vielfalt bewahren! Ein Appell von Kleinst- und Kleinunternehmer:innen für bunte Kieze

Der folgende Text ist jetzt fast zwei Monate alt und im Zusammenhang der initialen Idee, das Blog aufzusetzen, entstanden. Weil das, was da steht, (fast) alles immer noch genauso gilt, haben wir uns dafür entschieden, ihn auch genau so hier zu posten.

Mit großer Sorge, mit Angst und auch Wut erleben wir aktuell Entwicklungen, die dazu führen werden, dass unsere Stadtteile, Viertel und Kieze ihre bunte Mischung und viele von uns vermutlich auch unsere beruflichen Existenzen verlieren werden. Was da gerade an Vielfalt und Diversität, an mit viel Herzblut aufgebauten und betriebenen Läden, Lokalen und Betrieben ebenso wie künstlerischen und anderen Projekten zerstört wird, lässt sich noch gar nicht wirklich absehen. Sicher ist jedoch: Die Verwerfungen werden enorm sein und strukturell weit über den Verlust von einzelnen Unternehmungen hinaus Wirkung zeigen.

Unsere Prognose: 2022 oder spätestens 2023 wird Geld in die Hand genommen werden müssen, um tote Stadtteile, Viertel und Kieze wiederzubeleben. Berater – manchmal auch Beraterinnen – werden engagiert, Büros und (temporäre) Institutionen geschaffen, um Gründer*innen als Mieter*innen für leerstehende Immobilien zu finden und Stadtteile lebenswert zu machen. Junge und freshe Start Ups bekommen Fördergelder, Diversität wird beschworen und vielleicht gar gelegentlich gefördert. All dies wird richtig teuer – und dürfte zudem auch nur bedingt erfolgreich sein. Profitieren werden davon fast ausschließlich jene, die als Beratende engagiert werden.

Und all dies wird nur deshalb überhaupt notwendig sein, weil 2021 Politik in Deutschland auf lokaler wie auch Bundesebene komplett dabei versagt, die Existenzen von Kleinst- und Kleinselbständigen zu sichern und vorhandene Vielfalt zu erhalten. In dieser Pandemie-Situation zeigt sich mit aller Schärfe, dass wir keinerlei Lobby haben. Mit uns kann keiner was so recht anfangen. Wir sind offensichtlich für weite Teil der Politik nicht so richtig (be)greifbar, auch weil wir vielfach keine klassischen Unternehmer – so mit ungebremstem Gewinnstreben, klar strukturierten Business-Plänen und Wirtschaftsberatungsfirmen im Hintergrund – sind. Und nein, um gleich noch mit einem weiteren Klischee aufzuräumen, hier (unter)schreiben auch nicht mehrheitlich Menschen, die aus einer abgesicherten bürgerlichen Existenz mal eben ein wenig Selbst­verwirklichung ausprobieren wollten und sich jetzt ungerecht behandelt fühlen.

Sehr viele von uns haben den Schritt in die Solo-, Kleinst- oder Kleinselbständigkeit gewagt, ohne größere finanzielle Ressourcen im Hintergrund zu haben. Klar, einige von uns verdien(t)en damit auch ganz gut, während bei anderen finanziell eher von Selbstausbeutung gesprochen werden kann. Wir – als Kleinst- und Kleinselbständige in den Kiezen – sind eine bunte Mischung und stehen auch für eine solche. Unsere Biographien, Herkünfte und geschlechtlichen Identitäten sind verschieden, unsere politischen Standpunkte durchaus unterschiedlich. Was uns eint: Wir stehen für die Vielfalt in unseren Kiezen ein und kämpfen für sie. Wir wollen und brauchen bunte Viertel für lebenswerte Städte.

Wir waren in den vergangenen Pandemie-Monaten noch kreativer als viele von uns es ohnehin schon sind. Neue Konzepte wurden entwickelt, hybride Modelle geschaffen, on- und offline auf vielfältigste Weisen kombiniert. Die meisten von uns haben mehr denn je gearbeitet, aber viele dennoch nichts oder doch nur sehr wenig dabei verdient. Da können wir es leider nur noch zynisch nennen, wenn es uns von Seiten vieler politischer Akteur:innen entgegenschallt, wir möchten doch bitte ganz kreativ auf online-Möglichkeiten wie überhaupt auf das Internet setzen, dann kämen wir schon mit ein wenig Hilfe durch die Krise.

Ein sehr großer Teil von uns fällt bei einem Gros der Programme aus z. T. bizarr anmutenden Gründen durch das Förderraster, andere wiederum haben so wenig bekommen, dass es kaum für einen Monat reicht. Auch hier gilt: Mit uns können offensichtlich diejenigen, die diese Programme formulieren, nicht so recht was anfangen. Mag verrückt klingen, aber: Wie wäre denn, uns tatsächlich mal bei Planung und Entscheidung mit einzubeziehen? Wir haben Ideen, sind kreativ und könnten hilfreiche Tipps geben, wie das Geld auch bei denen ankommt, die es dringend brauchen. Und nein, vielen Dank, parteipolitisch binden möchten wir uns nicht.

Mal nur so ein Vorschlag: Wie wäre es, vom Modus des Misstrauens auf den der hilfreichen Unterstützung zu schalten? Sicher, es wurde und wird bei den Hilfen betrogen. Nur, müssen wir alle deshalb unter Generalverdacht gestellt werden? Zweifellos ließen sich Verfahren der Plausibilitätsprüfung etablieren, die nicht dazu führen, dass das Geld so langsam fließt, dass es es für manche schlichtweg zu spät kommt. Außerdem bräuchte es dringend sinnvolle Hilfsstellung für die richtige Beantragung der aufgelegten Programme. Insbesondere für Menschen mit bürokratiefernem Hintergrund sind die echt schwer zu verstehen (dass sie auch schon einige Steuerberater:innen und Wirtschaftsberater:innen an den Rande des Wahnsinns getrieben haben, spricht hier Bände). Da ließen sich doch sogar Synergieeffekte erzielen: Es werden temporäre Büros – gerne auch als Pop-Ups – eingerichtet, in denen ausführlich zu Programmen und Antragstellung beraten wird. Das erleichtert dann gleichzeitig die Plausibilitätsprüfung.

Und nein, auch wenn Corona dann irgendwann „vorbei“ ist, wird nicht alles wieder so sein wie vorher. Wir werden uns trotzdem verschuldet haben, viele von uns werden noch lange auf ganz unterschiedliche Weise die Folgen der Pandemie spüren. Wir hätten daher noch so einige Ideen – nicht nur zu Programmen, sondern auch etwas genereller zum Erhalt bzw. der Gestaltung bunter und lebenswerter Kieze.