Wie gut in einer Stadt politische Entscheidungsräume mit realen physischen Räumen verbunden sind, kann man daran erkennen, wie, was wann in einer Stadt gebaut wird. Dabei wird in Bremen so einiges gebaut, manchmal auch Gelungenes (in etwa die Landesbank am Domshof[1] oder das Rotkäppchen-Haus am Dobben, das Johann-Jacobs Haus[2], der Ellener Hof tief im Osten[3]), aber immer wieder nicht das, was politisch am Herzen läge oder für das (Selbst-)Bild der Stadt wichtig wäre (die Fahrradbrücken). Das, was dann doch gebaut wird, wird oft derart spät gebaut, dass es aus allen politischen Erwartungshorizonten längst herausgefallen ist (so zum Beispiel die Wohnbauten des Hulsberg-Quartiers), einer großflächigen Stadtnachverdichtung auf dem Gelände eines vormaligen Campusklinikums, welches in (wegen irgendwelcher Bauprobleme viel später fertig gewordener Neubauten zieht). Indessen vermag das politische System der Stadt bestimmte Sachverhalte einfach nicht zur Entscheidung zu bringen, so dass die eigentlichen Entscheidungsbedarfe zerstäuben und dann doch ohne Entscheidung etwas gemacht werden muss, einfach z. B. damit es mit dem Straßenbahnfahren weitergehen kann (so im Falle der Domsheide oder des Lüneburger Platzes). In beiden Fällen muss für viel Geld Straßenbahninfrastruktur ersetzt werden, ohne dass die mit den. Arbeiten verbundenen stadtentwicklerischen Gestaltungsgelegenheiten genutzt werden könnten. In beiden Fällen bleiben recht dysfunktionale Orte zurück, nicht wirklich Stadtplätze aber doch Orte, die den Zweck, Menschenströme auf Straßenbahnen zu verteilen einigermaßen erfüllen. Und zu guter Letzt, schafft es das politische System der Stadt auch nicht, über zentrale Platzgestaltungen zu entscheiden, wo es für das Bild, das die Stadt von sich hat, wichtig wäre (Domshof). Damit ist ein für die Stadt fast schon typischer Verdrußzirkel geschlossen, Bremen erlebt sich als eine Stadt, die es nicht hinbekommt.
Als politisch beobachtender Zugezogener frage ich mich dann immer wieder, was mit dieser Stadt eigentlich los ist[4] und warum sie Mal um Mal dieselben Verdrusszyklen reenacten muss, was mit ihren raumbezogenen Entscheidungsstrukturen nicht stimmt. Eine Ausgangshypothese könnte sein, dass die gesellschaftlich politischen Raumverhältnisse in Bremen schlecht strukturiert sind. Lokale Belange sind hier noch einmal schwächer repräsentiert als in anderen Städten, einfach, weil Akteure fehlen, die sie wirkmächtig vertreten könnten. Einerseits ist in Bremen eine Landesebene näher dran am lokalen als überall woanders, andererseits aber gelingt aber fast nie, daraus politisches Kapital zu schlagen, weil die Transmissionslinien vom Lokalen zum Politischen und zurück fehlen. Für das Lokale sind lediglich die Ortsämter und Beiräte da, der Fachaufsicht der Senatskanzlei unterliegende über die Stadt verteilte kleine Behörden ohne zugeordnete Ämter und ihre Verwaltungsausschüsse. Die eigentliche Dienstleistungs- und Ordnungsverwaltung erfolgt über die Stadtämter. Mehr Geld, als das man hier und da Papierkörbe oder Fahrradständer aufstellen könnte, hat diese Strukturaus Ortsämtern und Beiräten nicht und für letztere müsste sie ohnehin auch das viel entscheidungsmächtigere Amt für Straßenverkehr konsultieren. Das macht jede Art von Entscheidungsprozess sehr zäh und es ist ausgesprochen unwahrscheinlich, dass gute Vor-Ort-Kenntnis mit dem Vermögen Infrastruktur zu gestalten zusammentrifft. Es kommt hinzu, dass im Falle der stadtinneren Ortsämter, die erst 1971 geschaffen worden waren, die flächenhaften Zuständigkeitsbereiche z. T. sehr heterogen geschnitten sind und nicht mit Stadtteilstrukturen korrespondieren: So besteht der Zuständigkeitsbereich des Ortsamtes Mitte/Östliche Vorstadt aus der Bremer Innenstadt auf der einen Seite und den davon gesehen weseraufwärts gelegenen Stadtteilen mit teilweise fehlender gesamtstädtischer Bedeutung. Dass ein solches Ortsamt mehr nach Mitte schaut und wenig nach stadtteiligen Belangen seiner Östlichen Vorstadt, sollte dann kein Anlass zu Verwunderung sein.
Wenn es dann in der so organisierten Stadt etwas zu tun gibt, folgt die Logik der Aufgabenbewältigung selbstverständlich auch der der stadtadminstrativer Relevanzzuschreibungen. Der politischen und medialen Aufmerksamkeit folgend sind Probleme der Mitte Gegenstand von Debatte und Berichterstattung, Probleme, die woanders anfallen, eher nicht. Und für das Bauen sind andere zuständig als die Lokalen, die, wenn die Arbeitstage lang sind, womöglich nicht einmal konsultiert werden, bei Fragen von Baustelleneinrichtung und –timing. Und wie immer im westlichen Teil der Östlichen Vorstadt (dort wohne ich, wenn ich in Bremen bin) folgt der Herztakt der Stadt solch mächtigen Naturkräften wir Weserflut und Werderspiel, Kräften also, mit denen man nicht mal versucht zu verhandeln. Und so hat es sich die über die Stadt kommende Baustelle wohl überlegt, auch nicht zu verhandeln, sondern dann einfach da zu sein und bei ihrem Dasein sehr auf eigene Bedürfnisse und fast nicht auf die der umgebenden Stadt zu achten. Und das betrifft Zeit und auch Raum. Platz braucht die Baustelle für ihre Bagger und LKWs und ist dabei bei dem Inanspruchnehmen von Raum auch nicht eben zimperlich, und Zeit, im Sinne eines drei Wochen Fensters war eben nur dann da, wenn wegen einer durch die Nations League verursachten Pause das nächste Werder-Spiel erst wieder in drei Wochen angesetzt war. Ob das betreffende Zeitfenster mit den Bedürfnissen des verbliebenen Einzelhandels im Stadtteil kollidiert oder nicht, ist da dann eine tatsächlich kaum auffallende Frage, für die vor allem niemand da wäre der eine Zuständigkeit dafür hätte. Für all das war es auch gar nicht einmal nötig den Ortsbeirat und seinen Mobilitäts- und Stadtentwicklungsausschuss auch nur zu konsultieren. Warum auch?
Anhand des aktuellen Baugebarens wird deutlich, dass für die kleineren Räume kein stadtpolitisches Motiv da ist, bei Entwicklung und Dynamik mitzuhelfen. Dynamik geht nur von Immobilienentwicklern oder den Käufern von Häusern aus und dies ist immer wieder eine, die womöglich Einzelnen Geld auf ein Mietenkonto spült, aber zunehmend weniger leistet für den sozialen Reichtum einer städtischen Umwelt. Die wird nämlich immer gleichförmiger, mit jedem Jahr, jedem Verschwinden eines mal mit einer Idee gestarteten Ladens. Und für diese Vielfalt, die da sein könnte, schafft es die Stadt nicht etwas zu tun, eher im Gegenteil. Eigentlich in der Sache richtig anmutendes Beharren auf z. B. Sanitärstandards zwang halt geradezu dazu, die Schanklizenz für einen Craft-Beer-Laden zu verweigern, während zehn Meter weiter ein anspruchsloses Kiosk nach dem anderen entsteht (und in die Räume des vormaligen Craft-Beer-Ladens ein weiterer Orient-Bazaar einzog). Nicht Angebotsvielfalt ist der administrativ geschätzte und geschützte Wert, sondern Standarderfüllung, geht ja nicht anders, wo käme man da hin mit Ermessen das womöglich Begründungsarbeit macht? Gleichzeitig sorgt sich die Bremische Wirtschaftsförderung um den immer schütterer werdenden Angebotsmix, hat aber weder Mittel noch Wege, auf diesen einzuwirken, auch weil Anfragen diverserer Natur schlicht fehlen.
Die Ödnis in Gedanken auf fast allen Seiten beginnt sich der Straße einzuschreiben. Verschwunden ist das frühabendliche Vibrieren, das noch vor wenigenJahren an Sommerwochenendabenden zu verspüren war; es ist weg mit dem Zumachen all der Lokale wie Le Grill (jetzt Nikkei, aktuell geschlossen), Loui & Jule (dann Jannings, dann Annings). Wie soll es auch aufkommen, wenn man vor Restaurants, in denen mitunter noch die Teller und Gläser auf den Tischen und die Flaschen hinter dem Tresen stehen, aber die Betreiber weggegangen sind und abgeschlossen haben? Die Straße scheint als Gastromeile und Geschäftsstraße nicht mehr so gut zu funktionieren und es wird offenbar zunehmend schwierig, Matches aus Angebotsflächen und Geschäftsideen herzustellen mit jedem Verschwinden eines weiteren Ladens verschwindet ein weiteres Glied des Netzwerkes der Stadt: Binnen weniger Monate sind ein Antikladen, ein Pflanzenladen, ein Fahrradladen und ein Designladen, in den Jahren davor ein Buchladen, mehrere Bekleidungsgeschäfte, eine erfolgreiche Zwischennutzung auf der vormaligen Ellermayer-Ladenfläche und dann noch ein Fisch- ,ein Geflügelladen und ein Italofeinkostladen, sowie eine der letzten klassischen Drogerien verschwunden oder weggezogen.[5] Nichts davon geht auf Handlungen lokaler Politik oder Verwaltung zurück und immer gibt es irgendwelche Gründe, die damit gar nichts zu tun haben, gleichwohl fehlen Impulse oder auch nur gute Ideen oder Nachrichten, die von Politik und Verwaltung ausgingen. Und das, was passierte, wie das Aufstellen von bepflanzten Betonkästen, ging nicht auf Politik und Verwaltung sondern die Initiative privater und der WFB zurück. Eine lokale Politik, die an dem dran ist, was passiert und die vor allem auch da wäre und Potentiale erkennen will, sollte das beunruhigen. Aber so, wie diese lokale Politik derzeit aufgestellt und ausgestattet ist, fehlen ihr die Mittel und Motive einzugreifen und der übergeordneten Politik fehlen Ideen und Motive, daran etwas zu verändern.
Die Stadt könnte da auch viel mehr als sie jetzt tut, eigentlich, weil sie ja auch Land ist. Aber aus dieser Art Organisationalunion von Stadt und Land emergiert, anders als im Falle der Gesundheitspolitik bei Impfkampagnen in der Coronazeit, nur wenig sozialer Mehrwert. Denn, was für eine Stadt könnte das sein, wenn Politik und städtische Verwaltung es schaffen würden, ihre im Wortsinne nahe beieinander gelegenen Wissensbestände zusammenzuspannen und im Sinne des Stadtgedeihens einzusetzen? Nur sie tun das nicht, was schade ist und genaugenommen auch dem Bild widerspricht, das Bremen von sich zu erzeugen beabsichtigt. Z. T. fehlt ein Wille zum Wissen, zum Teil fehlen die Kapazitäten und Ressourcen, womöglich will man lieber gar nicht wissen, wer so Häuser im Steintor kauft und die Senatsebene hat sich vor Kurzem dahingehend erklärt, bis auf weiteres ökologische Transformation haushaltsnotlagenbedingt hintanzustellen. D. h., die Textur der Stadt verändernde Fahrradbrücken wird es bis auf weiteres nicht geben, dafür Reparaturen an der üppig vorhandenen in früheren Jahrzehnten dahingestellten Autoverkehrsinfrastruktur. Das passt perfekt in die Kalküle einer ewig regierenden SPD, deren Führung längst weiß, dass man, um in Bremen gewählt zu werden, gar nicht gut regieren muss, sondern es völlig ausreicht, den jeweils wichtigsten Koalitionspartner zum guten Regieren gar nicht erst kommen zu lassen.
[1] In der Bauwelt ist eine Würdigung aus dem Jahr 2017 zu finden: https://www.bauwelt.de/themen/bauten/Bremen-Domshof-Landesbank-Caruso-St-John-2771977.html. Zugriff am 11.09.2024.
[2]Vgl. https://erich-mendelsohn-preis.com/de/backstein-bauten/johann-jacobs-haus. Zugriff am 11.09.2024
[3] Vgl-z.B. https://atelier-pk.com/projekte/urbaner-holzbau-ellener-hof-wohn-und-geschaeftshaus/. Zugriff am 11.09.2024.
[4] Vor vier Jahren hatte ich schon einmal einen dahingehenden Versuch unternommen, innerparteilich stieß der Text seinerzeit auf keine Resonanz, jenseits des Parteidiskurses war das anders: https://gruene-bremen.de/2020/07/08/carsten-von-wissel-bremen-ist-schoen-aber-woanders-ist-es-auch-nicht-besser/. Zugriff am 11.09.2024.
[5] Hinzu kommt, dass eine vormalige Commerzbankfiliale seit Jahren leer steht und ein für das seit noch mehr Jahren leerstehend dahinrottende sog. HaBue-Haus vorgesehenes Projekt, dort Studierendenappartements zu schaffen, wg. der aktuellen Baukosten- und –finanzierungskrise womöglich nicht mehr begonnen werden wird. Vgl. https://www.t-online.de/region/bremen/id_100355550/bremen-habue-haus-im-steintor-dann-starten-die-grossen-sanierungsarbeiten.html. Zugriff am 12.09.2024.