No City for Bikes. Alltagsnotizen über die Stadt des Radfahrverdrusses

Radfahren in Bremen ist paradox organisiert. Einerseits sieht sich Bremen gern als Fahrradstadt[1], liegt in einschlägigen Rankings stets weit oben[2] dann aber sind viele der Radwege dort einfach schlecht, oft handtuchschmal , wurzelzersprengt oder plötzlich einfach irgendwo zu ende. Bremen unterscheidet sich, was seine Radinfrastruktur betrifft, nur wenig von anderen deutschen Städten. Die Weser überspannende Fahrradbrücken sollen daran etwas ändern. Sie sind das Rückgrat einer Struktur, die heute unter dem Namen Premiumroutenkonzept[3] in den Planwerken steht. Aber sie zu bauen, bzw. mit ihrem Bau auch nur zu beginnen,  erweist sich für die Bremer Exekutive als ein nicht zu bewältigendes Vorhaben. Erste Spatenstiche werden von einer Legislaturperiode in die nächste vertagt und wohl auch in der laufenden nicht kommen. Seit einem gefühlten langen Jahrzehnt wird jetzt über die Brücken geredet, gestritten und lamentiert.

Und in meiner unmittelbaren Nachbarschaft im Steintor vor kaum mehr als 10Jahren geschaffene Fahrradinfrastruktur, kann man in Hinblick auf den Alltag der dort Lebenden getrost als schon wieder in die Jahre gekommen und wenig funktional bezeichnen. Sie ist vor dem Abwägungshintergrund all der zu berücksichtigenden Einwände so angelegt, dass Radfahrende auf wenigen hundert Metern vier bis fünf Mal Straßenbahnschienen überqueren müssen, und dabei oft stürzen. Und dies nur, damit einerseits das Parken längs der Fahrbahn und auf den Bürgersteigen möglich bleibt. Indessen dienen überlange, barrierefreier Umstiegsmöglichkeit wegen geschaffene, Haltestellenflächen als Ausgleichsräume für fehlende Ladezonenkonzepte. Jeden Tag müssen dort LKWs auf Straßenbahnen Wartende wegdrängeln, damit sie auf ihre informellen Ladeparkplätze gelangen können. Öffentlicher Raum im Steintor ist, wie eh und je und immer noch um das Autofahren herum organisiert und damit ist alles, was das Autofahren und -abstellen erschweren würde, nicht zu machen. Nach wie vor wird aufgesetztes Parken auf Bürgersteigen und das Längstparken höher priorisiert als die körperliche Unversehrtheit dort unterwegs seiender Radfahrer*innen. Getränke liefernde Lastwagen schaffen ein paar Meter stadtauswärts am Lüneburger Platz unter den Augen vorbeifahrender Polizei Tag für Tag neue und andere Gefahrenstellen für Radfahrende.

Diese reagieren dann in Bremen auf ihre Art, vornehmlich, indem sie Regeln nicht ernst nehmen und das bewährte Autofahrer*innenkonzept, da zu fahren, wo man fahren kann, auf das Fahrradfahren übertragen.  Sie fahren also überall auf allen Wegen in allen Richtungen. Und die Bremische Politik hat, wie es scheint, wohl auch um Druck aus dem Kessel zu nehmen, die Polizei gebeten, beim Radverkehr(wie man das beim PKW-Verkehr ja auch fast überall macht)immer wieder mal das eine oder andere Auge zuzudrücken. Was Autofahrenden Tempo 50 in der Dreißigerzone ist, ist Radfahrenden das Linksaufdemradweg- und das Fußwegebefahren. Und anders als in vielen anderen Städten, hat sich in Bremen eine alle Generationen umfassende Radfahrkultur sehr weitreichender Regelignoranz etabliert. Es ist hier auch die sonst auf Regeleinhaltung bedachte Generation 60+, die mit allergrößter Selbstverständlichkeit die Radwege in allen Richtungen zugleich benutzt. Und es sind sehr viele, wenn nicht gar fast alle, die das so machen, damit viel mehr an der Zahl als die jungmännlichen sog. Kampfradler, die nachts um Einuhrdreißig in Berlin ohne Licht linksabbiegend über die hektargroßen Sechsspurenkreuzungen am Alexanderplatz radeln. Bremer Radverkehr hat dadurch einen infantilen Ungeist. Möglich werden Arrangements wie dieses vor allem dadurch, dass Radverkehr in Bremen wie fast in allen deutschen Großstädten ein dünner Verkehr ist, der es aushält, ineffizient und latent chaotisch durchgeführt zu werden. Auf den dafür bereitgestellten Wegen ist immer wieder Platz in falschen Richtungen zu fahren, weil diese Verkehrsform so wenig Raum beansprucht. Paradoxerweise erlaubt damit die Raumeffizienz dieser Verkehrsweise die Ineffizienz ihrer alltäglichen Durchführung.

Noch immer versucht die Administration städtischer Räume auch den Ansprüchen automobiler Nutzungen gerecht zu werden. Weil die dafür bereitzustellende Infrastruktur so viel mehr Geld verschlingt als alle anderen Nutzungsweisen, bekommt sie nach wie vor ein Übermaß administrativer Aufmerksamkeit. Um jeden einzelnen PKW-Parkplatz wird von den behördlichen Sachwalter*innen automobilen Verkehrs gekämpft. Jahrzehnte Grüner Regierungsbeteiligung vermochten daran in Bremen nichts zu verändern. So sind, wenn es Autoverkehrsinfrastrukturen zu planen gilt, die Kapazitäten offenbar da, geht es um Rad- oder Fußverkehr hingegen nicht. Auch deshalb dauert es in Bremen immer wieder derart lange, Radverkehrsprojekte umzusetzen. Und dann haftet ihnen über zu lange Zeiträume etwas zu Transitorisches an. Eine lernende, ermöglichende und reflexiv gedachte Infrastruktur, die Radverkehr als stadtraumgestaltendes Element mit einbaut, gibt es viel zu selten. Da fehlt dann da ein Fahrradbügel, der regelwidriges Gehwegbeparken verhindern würde oder ein neu angelegter Radweg wird wieder, wie schon vor dreißig Jahren mit einer Kurve gebaut, die dazu führt, dass Radfahrende immer wieder hinter, auf eine Ampelgrün wartenden, Fußgänger*innen vorbeifahren. Und dies nur, damit ein einzelner Parkplatz da bleiben kann, wo er schon immer war. Infrastruktur tut dadurch nichts oder zu wenig für gutes Zusammenleben in der Stadt. Auch dadurch erweisen sich Bremer Radwege als für professionelles, sicheres tägliches Radfahren weitgehend ungeeignet. Stets muss man damit rechnen, dass man bei 50 cm Radwegbreite auf entgegenkommenden Verkehr (oder hineinragende Seitenspiegel) trifft.

Und die Kräfte, die wollen, dass all das so bleibt, sind offenbar stark. Entsprechend fast unendlich erscheint das Füllhorn der Argumente, warum es mit den Fahrradbrücken für die nächsten paar Jahre nun doch einmal mehr nichts werden kann. Die Debatten sind, wie in Bremen üblich, von einem erheblichen Maß stadtrandlichen Selbstmitleids und Argwohn geprägt, so wird eingeklagt und gefordert, dass bevor in der City oder ihrer Nähe irgendwas gemacht würde, doch bitte erst einmal einige Hundert Radwegkilometer in Huchting oder Hemelingen besser gemacht werden müssten und, wenn das nicht passiere, es doch nur gerecht sei, wenn die Citybrücke auch nicht kommt.

Mal um Mal schreibt sich somit das Scheitern eines radverkehrsdienlichen Konzeptes in das lokalpolitische Gedächtnis der Stadtgesellschaft ein, so dass sich mehr und mehr ein Eindruck entsteht, das Bemühen um Radverkehr und nicht der Autoverkehr sei das eigentlich Problem der Stadt. Das im ersten Quartal vorgestellte 1.200plätzige Fahrradparkhaus im Bunker unter dem Domshof ist, wie so viele Bremer Projekte, bei den Akten und vom Tisch.[4]Es waren einfach fast alle dagegen, der Denkmalpfleger, das immer wieder zur Stelle seiende bauhistorisch interessierte Stadtbürgertum. Einmal mehr hat sich in die Eigenlogik der Stadt eingeschrieben, das Bremen Radverkehrsprojekte einfach nicht kann.

Die Stimmung ähnelt dabei der großen Politik, auch die ist derzeit davon in Mitleidenschaft gezogen, dass es die technichen Lösungen, nicht die Klimaprobleme sind, die Reaktanzen mobilisieren.  Lastenrad und Fahrradparkhaus sind damit wie Wärmepumpen und Elektroautos die Triggertechnologien des Streits der Stadt um sich selbst. Indessen dümpeln ernsthafte Fragen, z. B. welche Art des Innenstadtumbaus jetzt nötig wäre, auf einem peripheren Platz der städtischen Aufmerksamkeitsökonomie vor sich hin. Das Selbstbild der Stadt bleibt negativ bestimmt und die notorische Erfolglosigkeit ökologisch motivierter Verkehrspolitik trägt zu einem negativen Selbstbild der Stadt bei.

[1] S. z. B. da: https://www.bremen.de/leben-in-bremen/mobilitaet-und-verkehr/fahrradstadt/radprojekte   .

[2] https://www.adfc.de/artikel/adfc-fahrradklima-test-2022-nur-metropolen-werden-fahrradfreundlicher

[3] Online dort nachzusehen: https://bau.bremen.de/mobilitaet/radverkehr/fahrrad-premiumrouten-343973 , Zugriff am 25.07.2024.

[4] Die für den in Teilen historischen Platz vorgesehen sog. Düne, eine vier Meter hohe Erhebung mißfiel einfach allen und insbesondere Stadtbürgertum und Denkmalpflege. https://www.butenunbinnen.de/nachrichten/domshof-bremen-plaene-umgestaltung-duene-100.html .