Wem gehört die Stadt – und vor allem auch: wem sollte sie gehören? Mit diesen Fragen wollen und werden wir uns hier immer wieder beschäftigen. Postpandemitopia rekurriert ja schon begrifflich auf Utopie, da wollen wir zukünftig noch die eine oder andere positive Vision von Stadt entwickeln. Heute aber als unser erster Gastbeitrag ein Text, in dem sich jemand laut, deutlich und vermutlich etwas polarisierend äußert … Als wir das vor drei Tagen gelesen haben, war für uns sofort klar, dass das als erster Gastbeitrag bei uns im Blog erscheinen muss. Sönke war dankenswerterweise sehr einverstanden. Und wann, wenn nicht heute, sollten wir das auch hier veröffentlichen?
Sönke Busch
Wer die Zeche zahlt.
Rede Innenstadtkonferenz
Obere Rathaushalle zu Bremen
30.4.2021
Guten Abend Herr Bürgermeister, liebe Investorinnen, Senatorinnen, geschätzte Bürger in Abwesenheit.
Alle bisherigen Ansätze zur nachhaltigen Gestaltung der Innenstadt sind gescheitert. Schon seit Jahren zeichnet sich das jetzige Desaster ab und nicht eine der Personen in diesem Raum, die seit Jahren für diesen Zustand verantwortlich sind, darf oder sollte sich wundern, was gerade auf unseren Straßen geschieht und diese Runde wird nichts, aber auch gar nichts daran ändern, nachhaltig eine lebenswertere Stadt zu gestalten ist.
Die Ansätze sind falsch.
Die Ideen sind falsch.
Und die Einsicht fehlt, dass Sie und wir die ganze Zeit von Grund auf falsch gedacht haben. Sie zu gierig und wir zu feige. Wie denn soll etwas lebenswert werden, wenn es nie um Leben sondern immer nur um Profit ging?
Wer genau hinsieht, wird sehen, dass Leben sich noch nie verordnen ließ. Dergestalte Planungen haben dem Leben immer widersprochen. Sie sind immer nur der Versuch, etwas zu kontrollieren, was nicht zu kontrollieren ist. Wer Leben will, der kann sich dem Leben nicht in den Weg stellen. Das ist genau das was Sie tun:
Das Leben der Innenstadt soll kontrolliert, an Parametern gemessen, gelenkt und verwertet werden. Und das von ein paar Einzelnen, die der Meinung sind, mit ihrem Geld und ihrer Macht das Recht dazu zu haben.
Was wenn wir als Bürger dieser Stadt sagen: Dieses Recht habt Ihr nicht.
Die Stadt gehört allen. Auch ihnen. Aber es ist die Stadt der Bürgerinnen und Bürger von Bremen. Nicht die Stadt der Investoren. Nicht die Stadt der Stakeholderinnen. Nicht die Stadt der Senatorinnen. Nicht die Stadt der Funktionäre, nicht die Stadt der Unternehmerinnenverbände, nicht die Stadt der Handels- oder Architektenkammer.
Und natürlich sind in diesem Raum viele Menschen, die demokratisch gewählt ihre Positionen hier bekleiden. Wenn Sie sich jedoch dennoch von meiner Kritik angesprochen fühlen, kommen wir dem Problem vielleicht ein wenig näher, welches ich hier versuche darzustellen.
So lassen Sie mich eines klarstellen: Diese Stadt gehört den Bürgernden. Wir arbeiten nicht für Euch. Ihr. arbeitet. für. uns.
Natürlich weiß ich, dass die hier Anwesenden nicht müde werden, dies zu wiederholen. Wie sehr Sie nur Gutes im Schilde führen. Aber natürlich weiß ich auch, wie jeder Bürger mit auch nur einem offenen Auge, dass Sie lügen und die Stadt nicht unter den Bürgern mit den Ideen für eine gute Stadt aufgeteilt wird, sondern unter denen, die es sich hier und heute und schon viel zu lange im Rathaus gemütlich gemacht haben.
Die hier in der überwiegenden Mehrheit anwesenden Menschen stehen für andere Werte, für andere Präferenzen, für andere Vorhaben als die Bürgerinnen und Bürger aus Oslebshausen, Burg, Nord, aus dem Viertel oder eben der Innenstadt. Und Sie, die dies hier jetzt hören, wissen das auch. Doch haben Sie lange, sogar ziemlich glaubhaft gelogen, dass dem nicht so wäre. Das Sie welche von uns wären.
Sie, verehrte Investoren, Stakeholderinnen und Strippenzieher dieser, unserer, Stadt, sind verdorben, gierig und falsch. Und da hilft auch keine Imagekampagne. Ihr „Stadtmarketing“ war und ist verlogene Propaganda die wir überhaupt nicht nötig hätten, wären wir einfach ehrlich.
Und wenn ich mir die hier Anwesenden ansehe, jede und jeden einzelnen, der oder die heute hier noch das Wort ergreifen wird, wird es wieder nur um eines gehen: Wie können wir diese Stadt weiter vermarktbar halten? Wie können wir Geld verdienen? Darum geht es doch, sie sagen es ja sogar, als wäre diese Einstellung das Natürlichste der Welt.
Aber die Tatsache ist:
Diese Stadt ist nicht arm, weil wir die Bedürftigen füttern.
Diese Stadt ist arm, weil die Reichen nicht satt werden.
Und all die vorgeschobene Wohltätigkeit, das Engagement in der Stadtgesellschaft dient doch nur einer Sache: Ihre Macht in dieser Stadt zu verstetigen unter dem Hohlgesang der Menschenfreundlichkeit.
Auch das ist eine Lüge. Sie ist halt nur zu groß und teuer genug um hinterfragt zu werden.
Niemandem von Ihnen hätten wir die Stadt jemals verkaufen dürfen. Nicht vor fünfhundert Jahren, nicht vor achtzig und erst recht nicht jetzt. Wir sollten sie Ihnen, und damit spreche ich Sie in diesem Raum direkt an, wir sollten sie Ihnen nicht nur wegnehmen, wir sollten sie Ihnen entziehen, mitsamt Ihren geldgewundenen Seilschaften, mit Ihrem Mäzenatinnentum, mit Ihrem vorgeschobenen Altruismus. Wir sollten Ihnen jedes Recht enteignen, jedes Recht und jede Einflussnahme, die mehr ist, als die Rechte der kleinsten, ärmsten, geschundensten Bürgerin dieser Stadt.
Dieser Saal ist voll von Menschen, die den Hals nicht voll bekommen. Menschen, die sich an dieser Stadt seit Jahren, Jahrzehnten, Jahrhunderten gesund gestoßen haben und auch jetzt, in Zeiten der Krise, sitzend auf den Milliarden der Überseestadt, nichts außer Gier als Antrieb in ihren Köpfen, Körpern und Seelen tragen.
Wir sollten Ihnen, die hier sitzen, die Stadt wegnehmen und unter den Bürger verteilen. Haus für Haus, Straße für Straße, Stadtteil für Stadtteil. Nicht als Zwischennutzung, nicht als Mietminderung, nicht als Pop-up Scheiße. Schenken. Denen das geben, was ihnen gehört. Die Häuser denen, die drin Wohnen. Oder Arbeiten. Richtig arbeiten.
Mit welchem Recht glauben Sie, Sie dürften mehr Einfluß nehmen, als auch nur eine andere Bürgerin, ein anderer Bürger dieser Stadt? Und tun Sie nicht so, als wäre dem nicht so. Sie haben diese Sonderrechte und diesen Einfluß und Sie beschützen sie mit allem was Sie haben. Wo sind die Bürgerinnen und Bürger, in dieser Runde, um über die Zukunft der Stadt zu entscheiden? Sie wollen sie nicht hören. Und Sie schaffen es, dass kaum noch jemand einen Anspruch auf dieses Recht der Mitbestimmung erhebt. Das war Ihre Absicht und das haben Sie geschafft. Und Sie wissen das alles und tun so, als wäre dem nicht so. Ich kann Ihnen hier vieles vorwerfen. Aber Dummheit sicher nicht.
Sie die dieses Geld verwenden, um eine der Herzkammern dieser Stadt nutzen zu dürfen, haben das ganze Herz dieser Stadt nicht verdient.
Es gehört den Menschen, die hier arbeiten, den Verkäuferinnen und Verkäufern, den Menschen, die aufräumen, den Straßenbahnfahrerinnen und Straßenbahnfahrern, den Menschen in den LKW´s, die Sie beliefern. Den Menschen, die hierher kommen und den zentralen Punkt der Stadt nutzen, sich zu treffen, um Teil von dieser Stadt zu sein. Denen gehört diese Stadt und nicht ein paar Dahergelaufenen, die sich eingekauft haben und deshalb der Meinung sind, mitspielen zu dürfen.
Diese Stadt gehört den Menschen, die in ihr Leben, die hier arbeiten, die all das hier gebaut haben. Die sie gebaut haben. Und nicht nur bezahlt. Wo sind diese Menschen in dieser Runde? Wo?
Die Innenstadt ist tot, weil sie Menschen gehört, die nichts vom kleinteiligen, organischen Leben dieser Stadt wissen. Die hier nicht Leben. Die sie wie ihren Besitz behandeln und nicht wie ein Wohnzimmer, dass sie mit anderen zu teilen haben, weil unsere Stadt eben allen gehört. Sie haben es hier versaut, genauso wie Sie die seelenlose Überseestadt abseits von Ihrem Profit versauen.
Und plötzlich merken Sie das und es werden jetzt die Schlagworte ins Feld geführt, die ihre letzte Hoffnung sind, ihre Investitionen zu retten:
Nun ist sie plötzlich das Wichtigste: die lebenswerte Stadt, die bunte Stadt, die kreative Stadt.
Sie kaufen sich jetzt, kurz vor dem Ende, auf den letzten Drücker, noch ein paar Menschen ein, die sich seit Jahren aus intrinsischem Antrieb um diese Stadt kümmern. Sie versuchen diese Menschen für Ihre Vorhaben zu instrumentalisieren.
Das wird nicht funktionieren.
Meine Kritik an eben diesem Vorhaben zielt aber nicht nicht nur nach außen, zu den Großen dieser Stadt. Sie zielt auch auf mich und meine eigenen Leute.
Wie können wir es denn wagen, den Ultragentrifizierern bei Ihrem Vorhaben zu helfen? Wie können wir uns denn selbst so über Bord schmeißen, nur weil gerade jemand mit ein paar Tausend Euro winkt? Wie können wir denn jetzt einknicken? Nur, weil die Alten ein bißchen mit dem Geld wedeln, nur, weil auch uns die Krise ängstlich macht, schmeißen wir uns denen an den Hals, die das verwerten wollen, was uns einmal heilig war? Was ist mit Kreativität, Autonomie, Selbstbestimmung, Augenhöhe, Kritik, Spontanität, Gerechtigkeit?
Wo ist das? Nirgends in diesem Raum.
Das, was wir uns in dieser Stadt unabhängig aufgebaut haben, wir unabhängigen Veranstalterinnen, Sozialarbeiter, Stadtteilmanagenden, wir Kleinstunternehmerinnen, Mütter, Väter, Selbstständigen, Graffitimaler, Kinder, Kleingärtner, Gastronominnen, Musikschaffenden, Schauspielerinnen, Pädagogen, Lehrerinnen, Kulturschaffenden.
Verramschen wir jetzt aus hysterischer Angst all das, was wir über die Jahre unabhängig aufgebaut haben an die Investorinnen und Investoren, um unseren Arsch an die Wand zu bekommen, statt auf unsere eigene Solidarität zu vertrauen?
Wenn wir uns jetzt vor ihren Karren spannen lassen, auf die Karotte reagieren, die sie vor unsere Köpfe hängen, spielen wir ihr Spiel. Und Sie, die hier Anwesenden, beherrschen dieses Spiel. Wir, die jetzt für sie arbeiten sollen, können das nur verlieren. Glaubt ihnen nicht, es ist ihr Spiel, es sind ihre Regeln und die Gewinner stehen schon fest. Sie werden uns gegeneinander ausspielen, Missgunst sähen, uns zu spalten versuchen und wir werden verlieren. Für ein paar verdammte Euro.
Das ist unsere Stadt. Wir sind die Machenden. Wir arbeiten mit unseren Ideen und unseren eigenen Händen. Das sind unsere Ideen. Unsere Hände. Und die sind zu teuer und zu wertvoll, um sie vor einen Karren zu spannen, der den Menschen in dieser Stadt nichts, aber auch garnichts bringen wird.
Das wäre unsere Chance, endlich die unabhängige Verantwortung zu ergreifen. Wir brauchen niemanden, der uns erlaubt, die Stadt so zu gestalten, wie wir das wollen.
Das ist unsere Chance, zu zeigen, wovon wir doch schon so lange reden. Das ist die Zeit für seltsame Ideen, für freie Versuche, für öffentliches Scheitern. Für Selbstbestimmung. Für ein wahrlich buntes Leben in einer lebenswerten Stadt.
Aber nein, wir lassen uns kaufen, mit ein bisschen Kleingeld für Essen und Sicherheit. Und für ein bisschen Hoffnung, für einen kleines Brot.
Aber diese Hoffnung ist Pop-up Hoffnung.
Das war nie unsere Idee.
Das war nie das Herzblut, welches diese Stadt geformt hat.
Wenn wir dieses Herzblut jetzt verhökern, werden wir niemals genug verdienen, um es zurück zu kaufen. Dann haben sie uns im Sack.
Aber es ist nicht zu spät, Nein zu sagen.
Es ist nicht zu spät, den hier in unserem Rathaus Anwesenden zu sagen:
Diese Innenstadt, so wie sie ist, war eure Idee.
Sie ist euer Problem. Euer von euch selbst gemachtes Problem.
Sie wollen nicht die Stadt retten, welche hier seit zwei Jahrtausenden aus sich selbst heraus gewachsen ist.
Sie wollen die Stadt retten, die sie daraus gemacht haben.
Warum sollten wir ihnen helfen?
Es ist Ihr Problem.
Machen Sie es nicht zu unserem.
Ihr Problem ist, dass sich eine Stadt und ihre Menschen, ihr Engagement und ihre Liebe nicht in Zahlen und Tabellen pressen und verwursten lassen.
Unser einziges Problem sind Sie, die die hier Anwesenden, und ihr Macht- und Kontrollwahn.
Aber Ihre Macht schwindet und es ist schön, eben dies zu sehen.
Hat auch nur irgendjemand jemals davon gehört, dass Leben, organisches, wahres, buntes Leben verordnet funktioniert hat?
Das was Sie wollten und was Sie jetzt so sehr brauchen, damit es für Sie überhaupt irgendwie weitergeht, können Sie nicht planen und kaufen.
Hier ist das Problem: Diese Werte des Lebens, welches Sie zu ihrem eigenen Vorteil nutzen wollen, sind nicht mit Geld zu kaufen. Und Sie haben sich so lange schon daran gewöhnt, so reich zu sein, dass Sie glauben, dass Sie alles kaufen können. Aber wenn Sie sich wirklich umschauen, in dieser Stadt und in ihrem Herzen, dann werden Sie merken: Leben konnten Sie nie kaufen. Warum lernen Sie es denn nicht? Sie sind gescheitert. Lernen Sie daraus. Es ist auch für Sie eine große Chance. Lassen Sie endlich los. Diese Stadt wird weiterbestehen, auch nach dem Ende Ihrer aufgeblasenen Egos. Das letzte Hemd hat keine Stadtteile. Vererben Sie das, was Sie sich zu unrecht genommen haben, doch einfach jetzt schon den Bürgern und Bürgerinnen unserer Stadt.
Wenn Sie Leben wollen, beleben, überleben, Leben, dann machen Sie sich eines klar:
Leben, echtes Leben, ist schmutzig, ist gefährlich, ist unberechenbar, ist dunkel und verwoben, voll von Abseiten, dunklen Winkeln, unkontrollierbar, unverwertbar. Denn der Schmutz des Lebens einer Stadt ist es erst, auf dem ihre Schönheit blühen kann. Die wahre Schönheit, nicht Ihre Schönheit, die den Konsum und den Umsatz steigert.
Sondern die Schönheit, welche die Menschen dieser Stadt Raum und Luft zum Atmen gibt.
Sie können diese Luft nicht kaufen.
Sie, die hier Anwesenden, in diesem Moment, in diesem Rathaus, werden sich das nicht trauen. Dafür hat Sie ihr Geld zu feige werden lassen.
Keines der Konzepte, das Sie akzeptieren würden, wird nachhaltig funktionieren. Denn das, was Sie für ihren Profit verwerten wollen, können Sie nicht kaufen.
Und dieses kleine Gefühl, dass Sie sich jetzt angesprochen fühlen, zeigt nur eins: Das alles war Ihr Plan, Ihre Durchführung, Ihre Leitung. Sie haben versagt, weil Sie die Menschen dieser Stadt vorsätzlich vergessen haben. Wir Menschen dieser Stadt sind mehr als Übernachtungszahlen, mehr als unsere Portemonnaies, mehr als unsere Daten, mehr als unsere Arbeitsleistung, mehr als das, was Sie aus uns machen wollen, um sich persönlich zu bereichern.
Ich habe keinen Vorschlag, wie die von Ihnen erfundene Stadt überleben könnte.
Ich habe nicht mal Interesse daran.
Die Stadt und ihre Menschen werden ihren Weg gehen und sich ihren Raum zurücknehmen. Machen Sie, was sie wollen.
Sie können diese Stadt nicht gewinnen.
Aber tun Sie den Bürgernden dieser Stadt einen Gefallen:
Stehen Sie nicht dumm im Weg herum.
Geben Sie die Stadt einfach zurück und werfen Sie den Schlüssel in den Briefkasten.
Danke.