Jetzt ist es erst einmal wieder raus. Für mindestens sechs, realistischer acht Jahre wird es nichts mit einem Baubeginn der ersten der drei, vor gut zehn Jahren im Verkehrsentwicklungsplan Bremens[1] aufgeführten Fahrradbrücken. Bei den anderen zwei Brücken im Osten und im Westen hat noch nicht einmal die Vorplanung begonnen. Kein Geld, keine Leute seien dafür da und die, die da sind, würden gebraucht, die maladen bestehenden Brücken zu beplanen, sagt das ASV.[2] Warum nur sind so wenige überrascht, manche erfreut dass da Symbolprojekte einer Verkehrswende feststecken und warum ist solch ein Ergebnis so symptomatisch für Bremen?
Der Stadtstaat hat, was seine Politikbetrieb angeht, eine ganz ansehnliche Schauseite. Da wird gearbeitet und einiges produziert, vor zehn Jahren etwa ein Verkehrsentwicklungsplan, vor 2 1/2 Jahren ist der Bericht der Klima Enquete fertiggeworden[3] und dann gab es da noch einen etwas weniger öffentlich beachteten Wissenschaftsplan[4] und einiges mehr, wie zum Beispiel Innenstadtentwicklung etc.. Es gibt jedoch Probleme im all diese Vorhaben vollziehen sollenden Maschinenraum, den man nicht so bei der Arbeit sieht. Es gelingt immer wieder mal nicht, die Transmission der politischen Vorhaben in Verwaltungshandeln zu leisten und damit auf die Straßen zu bringen. Womöglich, weil im bremischen Politikbetrieb zu wenig gefragt wird, ob die Verwaltung, das, was ihr politisch aufgetragen wird, auch umzusetzen vermag. So kann es schon mal passieren, dass, obwohl woanders im Politikbetrieb über eine klimaresiliente Schwammstadt referiert wird[5], mehr als 2000 nicht mehr ganz so sichere Straßenbäume gefällt werden müssen und allenfalls 1000 davon ersetzt werden können, weil das Geld für den Ersatz fehlt[6]. Sowas nährt natürlich Verdruss, Frust und Heuchelei (Stumpf 2014, Folge 1, Absatz 4)[7], weshalb diese Momente immer wieder dort anzutreffen ist, wo die Stadt über und mit sich spricht (in etwa in den Onlinezuschriften des Weser Kuriers). Heuchelei ist dabei keine Charakterdiagnose, die sich gegen Menschen richtet, sondern ein strukturelles Phänomen, das sich im Zusammenspiel von ressourcenschwacher Legislative und ebenso ressourcenschwacher Verwaltung entfaltet. Ein gegenseitiges Zagen stellt sich ein, bei dem beide Seiten nicht so genau hinsehen und eher wenig nachfragen. Beide Seiten kümmern sich dabei um das, was sie können. Mitunter stellt sich dacauch der Anflug eines Verschwendungseindrucks ein, wenn man bedenkt, dass der politische Betrieb fast eines ganzen Bundeslandes vorgehalten wird, um eine derart tatschwache Verwaltung mit Entscheidungsvorgaben zu versorgen. Immer wieder wirkt das wie eine Vergeudung politischen Bestrebens.
Und es beschädigt so auch den Politikbetrieb der Stadt. Wer wird als Wissenschaftler*in geneigt sein, in einem Stadtstaat, dessen Politikbetrieb mit wissenschaftlicher Expertise wenig anzufangen vermag, Politikberatung zu machen? Und wie kann ein Politikbetrieb, dessen Selbstwirksamkeitserleben eingeschnürt ist von aus Parlamentssicht übermächtiger Exekutive, attraktiv sein für Leute, die etwas bewirken wollen? Und wie können Behörden einer solchen Stadt als Arbeitgeber*innen attraktiv sein, gute Leute gewinnen, wenn sich in den Fachkreisen herumspricht, dass Ressourcen so knapp sind, dass für die dort Arbeitenden eigentlich nur Reparatur- und Verwaltungsaufgaben bleiben? Oder bleiben sie dann doch auf die angewiesen, die ohnehin hier schon leben und nicht woandershin umziehen wollen?
Und es gibt ja auch zumindest eine politische Kraft, die damit ganz gut zurechtkommt. Die in Bremen seit Generationen dauerregierende SPD hat gelernt, dass es, um weiterzuregieren, gar nicht darauf ankommt, erfolgreich zu regieren, sondern nur, dass es gelingt, andere daran zu hindern, allzu erfolgreich mitzuregieren (wenn diese anderen nicht schon selbst dafür gesorgt haben). Und die parlamentarische Opposition in Bremen zieht einen Löw*innenanteil ihrer politischen Identität daraus, eine Verkehrswende aufzuhalten und den aus ihrer Sicht deplorablen Zustand der Stadt zu beklagen.
Natürlich wird nichts davon öffentlich ausgesprochen, was der mitunter heuchlerischen Anmutung des bremischen Politikbetriebes einen weiteren Schubs gibt. Und dann gibt es im Bremer Politikbetrieb das Demokratieproblem von unten, dass daraus resultiert, dass die Exekutive der Stadt, Partizipation eigentlich nur dann will, wenn sie keine zusätzliche Arbeit macht. Deshalb ist administrative Entscheidungsfindung hier gut nach unten abgesichert und sind die Kanäle, für bottom up entstehende Vorschläge sind gut versstopft. Ortsbeiräte sind insofern Client*innen der Verwaltung und keine echten Kommunalparlamente, denen man als Verwaltung Rechenschaft schulden würde. Als Client*innen können sie fragen, was so ansteht und sich sonst mit den Nebensächlichkeiten befassen, die neben den wirklich wichtigen Verwaltungsangelegenheiten und und für die Stadtentwicklung wichtigen Angelegenheiten so anliegen. Diese Nebensächlichkeiten [8] fluten von unten die Wissensbasis der Parteien und beschäftigen einen durchaus personalintensiven Beiratsbetrieb, aber so wichtige Fragen, wem eigentlich die Häuser der Stadt gehören oder wie sich auch nicht so wichtige Stadtplätze beleben lassen, bleiben zu oft unbehandelt. So wurde im Laufe der Jahrzehnte eine Bremer Einkaufsstraße nach der anderen funktionslos, auch weil niemand da war, für den es ein relevantes lokalpolitisches Problem gewesen wäre, dass z. B. der Buntentorsteinweg seine Nahversorgungsfunktion verliert oder der St. Jürgen Platz wie ein vergessenes Denkmal der 1980er Jahre Stadtmöblierung taubenumschwirrt vor sich hin gammelt. Eigentlich kommunalpolitische Aufgabenstellungen wurden und werden auf private, halbprivate oder privatgemeinnützige Akteure outgesourct, was manchmal recht gut gelingt, wie in Walle oder in der Bremer Neustadt, mal aber auch nicht ganz so gut. Im zweiten Fall passiert dann langjährig politisch gesehen nichts und Stadtentwicklung erscheint wie Schicksal und kontingenzlos dahinverwaltetes Geschenen, das zu beeinflussen nicht Sache kommunaler Politik ist. So ist dann weder Staat noch Stadt zu machen.
[1] Hier die Seite der Bremer Verkehrsverwaltung zum Verkehrsentwicklungsplan: https://bau.bremen.de/mobilitaet/verkehrsentwicklungsplan-5586.
[2] Hier ein gut gemachter, von einem Praktikanten in der Weser-Report Redaktion geschriebener Artikel, auch der Weser Kurier hatte seinerzeit mit WK+Artikeln über denselben Gegenstand berichtet: https://weserreport.de/2024/10/bremen-bremen/panorama/ein-sprung-ins-kalte-wasser/?sfnsn=scwspmo.
[3] Die Bürgerschaft hat eine Webseite zur Klimaenquete eingerichtet: https://www.bremische-buergerschaft.de/index.php?id=enquete-klimaschutz&noMobile=1.
[4] Ein Link zu den Wissenschaftsplänen der Bremer Wissenschaftsbehörde steht hier: https://www.bremen.de/wissenschaft/wissenschaftsplan-2025. Schon bevor die aktuelle Haushaltskrise begonnen hatte, galt der alte Wissenschaftsplan 2025 als nicht ausfinanziert.
[5] Zur jüngeren Schwammstadtgedanken hier zwei Links zu Vorschlägen der Parteien Bündnis 90/Die Grünen und SPD: https://gruene-bremen.de/2024/05/28/schwammstadt-ein-leitbild-fuer-bremens-stadtentwicklung-und-lebensqualitaet-in-der-klimakrise/ und da: https://spd-fraktion-bremen.de/politischearbeiten/schwammstadt/.
[6] Vergleiche dazu den Eröffnungsartikel „Einfach mal machen“ von Karsten Stumpfs Findorffer Kolumne: URL: https://www.findorff-gleich-nebenan.de/der-stadist/folge-1-einfach-mal-machen/. Der kurze Text enthält auch sonst einige gute Beobachtungen und auch mein Text hier verdankt ihm mindestens eine Idee.
[7] Stumpf spricht dort, auf Bremen gemünzt, von einer Trennung von Reden und Handeln und greift damit einen Gedanken auf, der vor mehr als 30 Jahren schon von Nils Brunsson im Rahmen seines Konzeptes der Organiszations of Hypocrisy formuliert worden ist. Ein Abstrakt der 1992 erschienenen Monographie findet sich hier: https://www.semanticscholar.org/paper/The-Organization-of-Hypocrisy%3A-Talk%2C-Decisions-and-Brunsson/858494acd8b23614d81a21f11cb1f37a9b9c3d17.
[8] Vergl. Stumpf (20142) Folge 2, Absatz 2. url.: https://www.findorff-gleich-nebenan.de/der-stadist/folge-2-wandel-ohne-handel/.