Vergurkte Außeralltäglichkeit. Nachgedanken zu vier Viertelsamstagen

Dass die europäische Stadt der Zukunft nicht mehr eine Stadt verbrennungsmotorgetriebener Individualmobilität sein wird, ist unstrittig. Streit gibt es jedoch, wie man da hinkommt, und, ob man da auch tatsächlich hinwill oder nicht doch besser einfach nur so tun sollte als ob.[1] Ein Weg das herauszufinden, ist selbstverständlich immer, es auszuprobieren. Auf diesem Gedanken fußt die eigentlich gute Idee Verkehrsfreier Samstage im Bremer Viertel. Und dann speist sich die Idee aus dem Gedanken auf Zeit Außeralltäglichkeit zu schaffen, so wie sie herausragend erfolgreich mit den Tagen der offenen Ateliers, einem vom Verein Kunstwerk im Viertel[2] getragenen Projekt am Wochenende der Winterzeitumstellung verwirklicht ist. Am Tag der offenen Ateliers öffnen sich für eine Sonntag die Künstler*innen- und Kunstgewerbler*innenateliers des Viertels, erreichen damit sehr viele Menschen und die Läden des Viertels öffnen sich an diesen Sonntagen auch und es ist jedes Jahr sehr gut für alle Beteiligten. Vielleicht, weil hier das Potential der Quartiere als besondere Viertel zur Entfaltung kommt, nicht zuletzt, weil da ein schlüssiges Konzept Leute bewegt, hierher zu kommen und sich etwas anzusehen, was eben außeralltäglich ist. Erfolgsgeheimnis der Tage der Offenen Ateliers ist damit eine lokale Stimmigkeit und ausgeprägte Nonbeliebigkeit. Verkehrsfreie Viertelsamstage wären auch gern solche Tage, sind es aber nicht geworden, aus einer Reihe von Gründen. Dementsprechend ist das Vorhaben auch gerade dabei, sich im Unverbindlichen auszuplätschern und nach vier Samstagen und einer schnell durchgeführten Gewerbetreibendenbefragung erst einmal ausgesetzt. Eigentlich hätten es bis zum Jahresende sechs werden sollen.

Verkehrsfreie Samstage könnten – also der Idee nach – als temporäre Reallabore für jeweils einen etwas besonderen Tag funktionieren. Sie sollten zeigen, was man damit gewinnen könnte, gewinnen kann und das (der Idee nach) – wie gesagt – gleich sechs Mal im Jahr. Nun haben vier davon stattgefunden und das Ergebnis ist eher ernüchternd. Zuzurechnen ist das den dünnen Konzepten, den aufgepfropften Motti (Verkehr und Mobilität, Kinder und Familie, Kunst und Kultur usw.) der Tage und nicht zuletzt dem fehlenden Interesse der Veranstalter*innen der Viertelsamstage an lokalem Geschehen drumherum. So ist es nicht gelungen, den unterschiedlichen Charakteren von Stein- und Ostertor gerecht zu werden, die genii locorum blieben unadressiert. Trotz der eher imperfekten Umsetzung, der so seltsam unkoordinierten wie kaum verständlichen Absperrung und Offenhaltung des Steintors und diverser Nebenstraßen und der etwas hilflos wirkenden Verbarrikadierung öffentlicher Räume hatten die autofreien Samstage die Anmutung routiniert ausgelebter Langeweile und etwas ziellosen Rumprobierens. Hier ein Glücksrad, da ein Popcornstand oder etwas Musik an irgendeiner Ecke aber dennoch oder gerade deshalb wollte so rechte Außeralltäglichtkeitsatmosphäre nicht aufkommen. Das liegt nicht zuletzt auch daran, dass im Steintor, anders als im Ostertor, nicht nur alle zwei Minuten eine Straßenbahn kam, sondern auch gefühlt alle zwei Minuten irgendein doch daherkommendes Auto. So war eine Aneignung der Fahrbahn durch etwas anderes als Fahren nicht möglich und noch nicht einmal Flanieren auf der Straßenmitte war eine Option, weil man ja doch damit rechnen musste, dass jede Minute irgendetwas durchfuhr. Und dann, als würde all das noch nicht ausreichen, standen im Steintor fast all die Autos, die stets tagein tagaus links und rechts der Fahrbahn stehen immer noch da, nur dass sie für 6 bis 8 Stunden im Halteverbot standen. Keins der dort stehengebliebenen Autos war abgeschleppt worden, auch für das Verteilen von Verwarnungsgeldzettelchen hatte sich niemand zuständig gefühlt, vermutlich auch ist niemand aus den Reihen der Veranstaltenden dazu gekommen, mit der Innen-und Ordnungsbehörde zu besprechen, ob man nicht an den verkehrsfreien Samstagen eine etwas engmaschigere Überwachung des ruhenden Verkehrs braucht. Damit war die Chance vergeben, die freigewordenen Parkflächen als Begegnungsräume zu nutzen.

Ein gewisser Unernst und eine noch gewissere Beliebigkeit waren somit stetige Begleiter der Viertelsamstage der letzten Monate. Das hat jeden Reallaboreffekt schon vom Start weg zunichte gemacht. Zu eigen, wie eine Stadt ohne Autos sein könnte, was da möglich wäre, gelang deshalb nicht. Stattdessen erhoben sich die negativen Stimmen, „wer kann dann da seine kalten Platten von mir nach Schwachhausen holen“ klagt die eine, „wie sollen meine Kunden, die mit dem Auto kommen, an diesen Tagen einen Parkplatz finden“, regt sich der andere auf. Der Hallraum für Negatives war damit schon einmal bereitet. Und manche von denen, die sich da beklagten, hatten auch nicht ganz unrecht, ein bisschen zumindest, weil Ideen, wie man es an diesen Tagen gut hätte machen können, nicht umgesetzt worden sind. Der autoarmen, ja am besten -freien Stadt der Zukunft kommt man so kein Schrittchen näher und reaktiviert kaum mehr als die traumatischen Scheiternserfahrungen mit dem ersten Versuch eines autofreien Stein- und Ostertors vor fast 20 Jahren im Januar 1996.[3] Hier wird also die eigentlich schöne Idee, es einfach mal zu probieren, wie es mit der Stadt sein kann ohne Autos, zu ihrer eigenen Karikatur zu Tode veranstaltet. Damit wird einer Idee Schaden zugefügt und unnötigerweise den Stimmen Raum verschafft, die nie etwas anderes wollten, als die Autos einfach weiter fahren zu lassen.

Politischer Schaden tritt schon dadurch ein, dass Effekte im Vorhinein zugerechnet werden, die viel sagen über Erwartungen der da Beschließenden, vor allem dann aber nicht eintreten: So entfiel für die im Steintor Dauerparkenden die Anregung, „ihren PKW in einem Parkhaus unterzubringen“[4], weil sie diesen in Ermangelung einer Durchsetzung des Parkverbotes auch einfach an Ort und Stelle stehen lassen konnten. Und dann liest sich der Beiratsbeschluss zu den verkehrsfreien Samstagen auch mehr wie ein Werbeflyer für eine Absicht und weniger als ein in einer Gesamtstrategie eingebundener Beschluss, was im Beschluss als „weitere Effekte“ ausgewiesen ist, entpuppt sich bei näherem Hinsehen vor allem als Projektionen.

Allerdings lässt sich mit dem Auflisten von Projektionen nicht wirklich lokaler Staat machen. Dem ganzen Vorhaben haftet die sattsam bekannte Aura von Erfolglosigkeit an, die nicht nur in Bremen, aber eben doch auch sehr hier, jedes in Deutschland angestrengte Bemühen um zukunftsverträgliche Verkehrspolitik umnebelt. Und dann mutet der Beiratsbeschluss auch wie der eines Gremiums an, das sich selbst nicht besonders ernst nimmt, vielleicht, weil man mindestens einmal zu oft die Erfahrung gemacht hat, dass das, was man da beschlossen hat, von senatorischer Politik und Verwaltung als eher unverbindliche Anregung, aber nicht als Handlungsauftrag gelesen wird. Trotz allem Reden über Klimaschutz und ein Zurückdrängen des Autos in der Stadt, wollen die Autos einfach nicht weniger werden und will es hiesiger Kommunalpolitik einfach nicht gelingen, den eisernen Käfig automobilzentrierter Urbanität zurückzulassen. Und wenn die Autos erst mal ihren Raum haben, wird es ganz schwer, ihn diesen wieder zu entwinden. Die Rechtsordnung trägt dazu mit bei, weil sie unter Gemeingebrauch das Befahren mit Autos versteht wie jetzt gerade wieder von einem Berliner Verwaltungsgericht mit Blick auf die mittlere Friedrichstraße (zwischen Unter den Linden und Leipziger Str.) bestätigt.[5] Autos Raum zu nehmen, geht fast nur im Rahmen von Versuchen, Events und anderen wenigstens verkehrstechnisch Außeralltäglichem. Derzeit ist der Aufwand, diese jeweiligen Außeralltäglichkeiten zu definieren jedes Mal so groß, dass beteiligte Akteure nicht mehr dazu kommen, sich mit dem Reallaborcharakter autofreier Stadt auseinanderzusetzen. Und dem von der lokalen Politik auserkorenen Umsetzungspartner autofreier Viertelsamstage (Viertel IGV) fehlt auch das Verständnis des und Interesse am Reallaborcharakter der autofreien Viertelsamstage.

Will man der Idee autofreier Tage festhalten, braucht es also mehr als zur Zeit an Konzepten zur Hand ist. Zunächst einmal braucht man Interesse an dem, was sonst noch so an selbstorganisierten nachbarschaftlichen Aktivitäten stattfindet. So hätte man am dritten der Viertelsamstage das Heidelbergerstraßenfest in das Konzept integrieren können, eigentlich müssen, aber allein das Wissen um dieses Fest fehlte bei der Vorbereitung und die Zeit und Kapazität, gemeinsam mit den Anwohner*innen Ideen zu entwickeln und gegenüber Ordnungs- und Verkehrsbehörden zu vertreten fehlte auch.

Dann reicht es auch nicht aus, die Möglichkeiten besserer Umsätze der ansässigen Gewerbetreibenden bloß zu projizieren, wie es der Beiratsbeschluss mit Formulierungen wie diesem getan hat: „Gewerbetreibende können die Erfahrung machen, dass sich die Zunahme der Laufkundschaft positiv auf ihr Geschäft auswirkt“. Man müsste auch konkret etwas dafür tun, dass besagte Gewerbetreibende nicht damit allein gelassen werden, dass sie an bestimmten Samstagen von ihren Kund*innen mit deren Autos nicht erreicht werden können. Dafür bräuchte man anders als bei den autofreien Viertelsamstagen jetzt, Umsetzungspartner, die Interesse und Kompetenz an zukunftsfähiger Stadtentwicklung und die die Fähigkeit zu ihrer Umsetzung mitzuwirken, mitbringen. Dies sind im Zweifelsfall nicht Event- oder Kongressveranstalter, sondern Leute, die sich schon länger Gedanken darüber machen, wie man öffentliche Räume zukunftsfester macht.

Und nicht zuletzt müsste jemand dafür da sein, mit Behörden und politisch Verantwortlichen zu reden und diese zu fragen, ob es ihnen eigentlich ausreicht, wenn die ortsansässige Interessengemeinschaft der Gewerbetreibenden ein bisschen so tun kann, als würden sie sich für Stadtentwicklungsaspekte interessieren. Oder, ob mit der Idee autofreier Viertelsamstage mehr als der Wunsch verbunden ist, ein paar Mal für jeweils einen Samstag ein Interesse an zukunftsfähiger Stadt zu simulieren. Denn, wenn es für diese Tage eine vernünftig kommunizierte, vorher auch vereinbarte wissenschaftliche Begleitung durch die Hochschule oder die Wirtschaftsgeographie der Universität gäbe, gegeben hätte, hätten sich zukunftsweisende Ideen realisieren und für alle Beteiligten ganz gut was lernen lassen. Dafür ansprechbare, in der Sache sprech- und arbeitsfähige Fachgebiete hätte es dafür sowohl an der Hochschule wie an der Universität gegeben. Das Viertel hätte so auch seine Chance gehabt, wieder mehr in die Rolle zu geraten aus der heraus man Dinge macht, die andere Quartiere in einigen Jahren vielleicht dann auch machen wollen und werden. Diese Chance wird allerdings vergeben, wenn auf allen Ebenen des Ablaufes die Zeit fehlt und die Beteiligten unter der Bürde des Ehrenamtes leiden und klagen, dass sie es einmal mehr nicht geschafft haben einzulösen, was mal ihr Anspruch war.

Gleichwohl blieben die Samstage für Stadtforschung, Geographie oder am Lokalen interessierte Politikwissenschaft ein interessantes Thema und würden eine herausragende Möglichkeit bieten, Politik vor Ort mit naher Wissenschaft zu verknüpfen und daraus eine Win-Win-Konstellation für beide Partner*innen zu schöpfen. Dafür bräuchte es eigentlich nur Neugier und vielleicht ein bisschen weniger Neigung, sich zu schnell mit dem Mittelguten zu arrangieren, bloß weil es auf der Hand zu liegen scheint. Eigentlich war das Viertel mal bekannt für solch eine Haltung, ich denke, es wird das auch wieder sein können.

[1] In der Organisationssoziologie gibt es zu mit solchen Gedanken verbundenen Aspekten seit langem einen recht breiten Literaturcorpus angefangen mit Günter Ortmanns Monographie (Günther Ortmann(2004): Als ob. Fiktionen in Organisationen; Berlin: Springer; url und Abstract hier: https://link.springer.com/book/9783531143743 ), insbesondere in der Hochschulforschung gibt es einige Papers, z. B. dies hier: Christian Berthold (2011): Als ob es einen Sinn machen würde. Strategisches Management in Universitäten; CHE Arbeitspapier Nr. 140; url: https://www.che.de/download/che_ap140_strategie-pdf/ , Zugriff am 10.11.2022. Das Papier argumentiert, dass Hochschulleitungen geradezu gezwungen zu sein, so zu tun, als mache strategisches Management in Hochschulen Sinn, obwohl sie wüssten, dass dies auf der Arbeitsebene der Wissenschaft nicht so ist.

In der Politikwissenschaft oder in politischer Philosophie sowie im politischen Journalismus ist die Lage dünner (Nils Marquard hatte sich daran journalistisch am Gegenstand Angela Merkel versucht: https://www.zeit.de/kultur/2017-09/angela-merkel-politik-pragmatismus-fluechtlingspolitik), seine Arbeitshypothese war, dass ihre Stärke darin bestehe, einen Eindruck zu erwecken, als ob ihre Entscheidungen pragmatisch seien. Eine Theorie eines umwelt-und verkehrspolitischen Alsobismus ist, soweit ich das auf die Schnelle übersehen kann, noch nicht geschrieben. Sie fehlt.

[2] Kunstwerk im Viertel ist ein von ortsansässigen Künstler*innen und Kunstgewerbeproduzent*innen getragener Verein (https://kuckenkommen.de/).

[3] Ein buten un binnen-Video zum Thema findet man hier: https://www.butenunbinnen.de/videos/das-viertel-wird-autofrei-100.html.

[4] Siehe Beschluss des Beirates Östliche Vorstadt: Beitrag zum Umweltschutz: Autofreier Samstag Vor dem Steintor/Ostertorsteinweg, vom 19.05.2019; url: https://www.ortsamtmitte.bremen.de/beirat-oev/beschluesse-2079; Zugriff am 28.10.2022.

[5] https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2022/10/berlin-friedrichstrasse-autofrei-rechtswidrig-gericht-giffey-jarasch-senat.html; Zugriff am 20.11.2022.