Eine Viertel wäre schon gut. Überlegungen zum Bremer Steintor und ein paar Vorschläge, wie es wieder aufschließen kann

Das Viertel, eine östlich, weseraufwärts der Innenstadt gelegene Bremer Stadterweiterung aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, gliedert sich in zwei Teile. Während der westliche Teil das Ostertor Richtung Innenstadt strebt, seine Nahversorgungsfunktion weitgehend verloren hat und eine fast schon normale B-Lagengeschäftsstraße mit der üblichen Mischung aus Gastronomie und Einkaufen geworden ist, ist der östliche Teil in eine andersartige Entwicklung geraten. Auch hier ist die Nahversorgungsfunktionalität rückläufig, aber aus anderen Gründen. Die Einzelhandelsvielfalt nimmt auch hier ab, aber in einer anderen Richtung, nicht Geschäfte dominieren hier, sondern Kiosks, Friseure und Barbiere, dafür gibt es dort aber, anders als im Ostertor Supermärkte und nach einen nach wie vor alteingesessenen Einzelhandel. Und es gibt hier das beste Baklava zwischen Hamburg und Amsterdam und versteckt in Seitenstraßen fantastischen Kaffee oder hawaiianische Bowls oder an Samstagen Salate aus Blumenwiesen, Dinge also, für die man in Norddeutschland meist weit fahren muss. Dem östlichen Steintor fehlen aber etwas die Anker. Banken ziehen ab und hinterlassen Löcher in der Gewerbetextur, die niemand füllt. Offenbar hinterlassen sie auch sog. Problemimmobilien, die dann lange leer stehen. Ein für das Viertel fast ikonisches Bankhaus (Problemimmobilie) ist von der Bremer Sparkasse aufgegeben und vor etwas mehr als einem Jahr für kleines Geld verkauft worden auch weil davor die Dealer standen, das Haus nicht behindertengerecht war und hätte grundrenoviert werden müssen. Jetzt ist das Problemhaus immer noch aufgegeben, die Dealer stehen immer noch davor und man hört Geraune von diversen Besitzer*innenwechseln, dem dritten bisher. Die ganze Situation dort schrie im Spätfrühling 2021 danach, durch ein Ziehen des senatorischen Vorkaufsrechts aufgefangen zu werden, nur, der Senat, er wollte nicht und Ortsamt und Beirat der Östlichen Vorstadt wollten auch nicht, dass der Senat wollte. Die lokale Politik wollte auch deshalb nicht, weil falsche Leute einen Immobilienerwerb durch die Stadt gefordert hatten. Leider auch fehlte zu diesem Zeitpunkt das eigentlich zugesagte bodenpolitische Strategiekonzept des Senats[1] und auch das vergangene Jahr war ja auch schon unter dem Erwartungsdunstschleier der heraufziehenden Bürgerschaftswahl, so dass es sich schon damals nicht mehr lohnte, endlich damit anzufangen. Jetzt natürlich zum Glück noch weniger.

Zurück zu den beiden Straßen Ostertorsteinweg und Vor dem Steintor. Der Westteil der Ostertorsteinweg mit seinem Ende am Goetheplatz ist stadträumlich ganz ansprechend. Es gibt einen Platz in der Mitte, es gibt einigermaßen breite Bürgersteige und zumindest einzelne baulich wiedererkennbare Signifikanten, so die jugendstilige St. Pauli Spitze. Der Ostteil hat das eigentlich auch (fast), einen Platz in der Mitte, eigentlich noch einen weiteren halben Platz, aber schmalere Bürgersteige und weniger Grün und insbesondere einen anderen Gewerbebesatz und etwas weniger Architektur. Städtebaulich ist der Ostteil etwas rauer, die Häuser sind etwas niedriger und kleiner, der Ostteil des Viertels ist das neuere später gebaute, was seine Ersterschließung betrifft, weniger von großbürgerlicher Villenarchitektur geprägte Quartier. Und es gibt da, im Ostteil, eine Prostitutionsstraße und halt manifeste Problemimmobilien, ewige Leerstände, halbewige Leerstände viele Kiosks, Männerfriseure, andere Friseure und Bäcker. Die Diversität ist in den letzten Jahren deutlich abgerutscht, weil insbesondere Einzelhandel (nebenbei übrigens insbesondere von Frauen betriebener Einzelhandel) verschwunden ist. Damit schwindet die Vielfalt der Gründe, das Steintor aufzusuchen. Gestalterische Aktivitäten stemmen sich dem auch nicht wirklich entgegen: Am Gehwegbeparken scheint nicht zu rühren zu sein, aber es gibt mehr zu Fahrradstellplätzen umgewidmete Autoparkflächen, und einige auf private Initiative zurückgehende Pflanzkästen und einige wenige vormalige Parkplätze, die nun gastronomischer Bespielung zur Verfügung stehen. Das ist nicht nichts, aber es ginge mehr, viel mehr und es ist vor allem im Ergebnis zu wenig.

 

Was man machen könnte

Den Lüneburger Platz entwickeln, Eingangssituation I

Der Lüneburger Platz am Ostende des Steintors ist ein städträumliches Ärgernis. Vollgestellt ist die an drei Seiten von Fahrbahnen eingefasste und von drei Straßenbahnlinien durchschnittene Platzsituation mit einer 1980er Stadtmöblierung, die ihre besseren Tage hinter sich hat. Der Platz hängt in einem stadtpolitischen Vakuum, das durch das Warten auf das Ansnetzgehen des Hulsbergquartiers geprägt ist. Leider geht das Hulsbergquartier nicht ans Netz, jedenfalls noch nicht und deutlich später als beabsichtigt, weil die Klinikneubauten entlang der Bismarckstraße stark aus dem Zeitplan geraten waren. Indessen fungiert das Warten als Gelegenheit, erst mal nichts zu unternehmen im Hinblick auf den vor sich hinschlummernden Platz und die Eingangssituation in das Steintor. Dabei gab es mit den Projekten der Studierenden der Hochschule schon 2014 Vorschläge[2] und reichlich Gelegenheit, in ein gestaltungsorientierten Dialog zu treten. Es gab Ideen für den Platz, für seine Befreiung von Autos und haltenden Straßenbahnen, für seine Abschirmung zur lauten Lüneburger Straße. Beirat, Ortsamt und Stadtentwicklungsbehörde haben dieses Zeitfenster zufallen lassen. Zeit, es wieder aufzumachen, etwas zu lüften und nach vorne zu gucken. Ideen dafür sind da und ließen sich mit Auslobung eines Wettbewerbs sicher weiterentwickeln. Ein solcher Wettbewerb gäbe darüber hinaus Gelegenheit, die faulliegende Diskussion um die stadträumliche Eingliederung des Hulsbergquartiers zu beleben und die Anwohner*innen zu beteiligen.

Eingangssituation II. Aus der Fehrfeldeinmündung endlich einen Platz machen

Die verschenkte Platzsituation am Fehrfeldeck ist schade. Nicht nur, hat die Stadt zugesehen, wie, wie gesagt, das Sparkassengebäude für kleines Geld weggekauft worden ist und nun mit dem dritten oder vierten Besitzer vor sich hin leersteht und trotzdem viel teurer ist, man könnte auch mit der Situation etwas anfangen. Der Fahrradknäuel vor Speiche und Piano könnte weg, auf eine der ohnehin nicht wirklich gebrauchten Parkplatzflächen entlang der Vordemsteintorfahrbahn verlagert werden, die noch unnötigere, zudem illegale Autoabstellgelegenheit neben dem Fahrradknäuel[3] könnte verunmöglicht werden, wenn man dann noch das Fehrfeld autofrei machen würde und endlich anfinge, stadtpolitisch über den Betzner-Komplex zu sprechen, wäre ein Platz zu machen. Eigentlich müssten bloß alle beteiligten Akteure endlich anfangen, damit aufzuhören, angestrengt woanders hinzugucken, um Dealer verrottendes Bankhaus und leeren Autopavillon nicht sehen zu müssen.

Auch und gerade für diesen Platz und seine Umgebung würde ich mir ein echtes Quartiersmanagement nach dem Vorbild des Parkmanagements im Görlitzer Park[4] in Berlin wünschen. Wer das macht, müsste mit den Dealern reden können, mit allen Geschäftsleuten und nicht nur mit den pflegeleichten darunter. Das geht vermutlich nicht, wenn man versucht, die Situation mit ein bisschen Geld aus der Wirtschaftsbehörde zu lösen, sondern müsste als eine gemeinsame Anstrengung mit Geldern und Akteuren der Wirtschaftsbehörde und aus Soziale Stadt-Mitteln angegangen werden. Solch ein hybrider Ansatz aus sozialer und lokalwirtschaftspolitischer Stadtentwicklung passt auf den ersten Blick in keine der derzeitigen Förderlinien und -instrumente, dennoch ergäbe sich genau hier eine Möglichkeit, zu zeigen, wie Bremen seine enge Verkoppelung von lokall- und landespolitischem Wissen zum Vorteil der Stadt nutzbar machen kann.

Dazwischen: Das Gewebe der Stadt stärker machen, Gehwegparken überwinden, Pflanzkastengrün in die Stadt bringen und dem Sozialen Raum zum Atmen geben

Das Steintor ist eng, die Bürgersteige dort sind schmal und es ist anders als im Ostertor sehr ungrün dort. Zusätzlich eingeschnürt wird die Situation an seinem östlichen Ende durch etliche Bürgersteigflächen, die dem aufgesetzten Parken geopfert worden sind. Dankenswerterweise hat das Haifischbecken, das El Toro ein paar vormalige Parkflächen bekommen, um sie bespielen zu dürfen. Dank Corona, denn ohne die Pandemie wäre es, so mag man spekulieren, eher nicht möglich gewesen, dem Auto da Platz wegzunehmen. Denn sonst parken da fast überall links und rechts der Fahrbahn Autos, was es wiederum nicht möglich macht, auf den Bürgersteigen stationäres Grün anzulegen. Das fehlt. Die Autos sollten dort weg, wenn man andere Prioritäten hat, als Privatautomobilität in der Stadt zu fördern.

Flächenöffnen, Stadt Begrünen, Behäkeln und Bestricken und Bebunten würde vermutlich helfen. Was die letzten zwei Möglichkeiten angeht, sogar mit richtig wenig Geld und lebendiger lokaler Eigeninitiative. Mit Kraft-Stoff, Stoff-Box, ATX sind sogar gleich drei Kompetenzträger*innen dafür da, vor Ort, direkt. Künstlerische Substanz wäre ohnehin ausgehend vom Eulen- oder Sielwallquartier vor Ort vorhanden. Man müsste das nur wollen und vielleicht ein bisschen denken, vielleicht ein bisschen fördern. Mir scheint das mit weniger Geld möglich als in den letzten Jahren einem in Bremen ansässigen Immobilienentwickler anvertraut worden ist, um im Stein sogenanntes Leerstandsmanagement zu betreiben.[5]

 

Knappes Fazit: Für ein integriertes Steintorkonzept

Potential ist eigentlich einiges da, städtisches Leben auch genug. Was möglicherweise fehlt, ist die Vermittlung der Arbeit senatorischer und örtlicher Behörden mit sozialem Leben in den Straßen, den örtlichen Zu- und Abneigungen der Menschen. Für senatorische Behörden sind die Probleme des Steintors vielleicht (ob das stimmt, wäre eine Frage, die im Rahmen einer lokalgebundenen Forschung über Regieren in Bremen zu bearbeiten ist) zu klein. Widmete man sich ihnen gezielter, läge gleich die Frage auf dem Tisch, warum man sich um andere Ecken, die ja auch ihre Probleme hätten, nicht gleichermaßen kümmert. Solche Rede ist in einer Stadt mit derart zentrifugalen Tendenzen, wie Bremen sie hat, immer ein schwerwiegender Vorwurf. Fast jede auf innere Bereiche der Stadt zielende Idee ist sofort mit dem Vorwurf konfrontiert, dass aber ihre Ränder so sehr vernachlässigt seien (zu sehen ist das gerade bei der immer wieder aufflackernden Diskussion über die Priorisierung de über die Weser zu schlagenden Fahrradbrücken). Um dieser Diskussion zu entgehen, weicht senatorische Politik auch mal aus und überträgt Aufgaben an andere (gerne an GmbHs oder anders strukturierte kommerzielle Aufgabenträger). Sozialer Raum, Grund und Boden ein Gebäude wird damit dem Politischen entwunden und dem Politischen wird die Last der Räume abgenommen. So wird das Viertel, gar nicht bloß das Steintor aus Sicht einiger Teile senatorischer Verwaltung, vielleicht auch aus Sicht der Wirtschaftsförderung Bremen eine gute Gelegenheit, Geld wegzubringen. Ist das Geld erstmal weg, zum Beispiel für sog. Leerstandsmanagement, dann kann man sagen, es zielgerichtet, zwecksetzungsentsprechend ausgegeben zu haben, und gut ist es. Ob es wirklich Gutes tut das Geld, wer soll und kann das schon genau überprüfen?

Und aus Beiratsperspektive sieht es nicht wirklich besser aus. Die Struktur des Beiratsgebiets Östliche Vorstadt entwickelt möglicherweise einen Sog, der soziale Aufmerksamkeit vom Steintor wegsaugt. Interesse auf die Entwicklung des Steintors einzuwirken ist jedenfalls gering. Vielleicht auch der Einsicht folgend, dass auf Beiratsebene kein Instrument verfügbar ist, das die Probleme des Steintors lösen würde. Weder hat der Beirat Geld, als Bieter für Immobilien aufzutreten, noch hat er ein erwähnenswertes Baubudget. Geld andere zu beauftragen gibt es im Haushalt des Beirates oder des Ortsamtes auch nicht. Insofern gibt es auch auf der unteren ganz lokalen Ebene ein Weglaufen vor dem Problem.

Aus dieser Absetzbewegung von oben und von unten entsteht ein raumpolitisches Vakuum, eine sozialräumiche Leere das/die stillsteht, dies aber nur scheinbar. Denn nur, weil die lokale Politik sich gerade in einem Stillstandserleben eingerichtet hat und auf das Hulsbergquartier und sonst noch irgendwas wartet, hört die Stadt nicht auf, sich zu verändern. Ich will einfach mehr gestaltendes Verstehen sehen, ich will eine lokale Politik, die genau hinguckt, Probleme bespricht und sich in die Lage bringt, da zu sein. Lokale Politik muss dabei gar nicht alles wissen, aber sie muss einen Willen haben, vieles zu wissen und sie muss einen Willen haben, aus Sicht sehr vieler Teil der Lösung und nicht Teil des Problems zu sein, dazu braucht sie Neugier und offene Augen und Ohren. Ich glaube, das ist nicht zu viel verlangt.

[1] In etwa orientiert an Vorschlägen wie diesem hier: https://repository.difu.de/jspui/bitstream/difu/579236/1/SV_Bodenpolitik%20%28Bunzel%20u.a.%29.pdf .

[2] Vgl. die zum Ende des Projektes aufgelegte Broschüre Interspace 16 studentische Wettbewerbsbeiträge für den Lüneburger Platz, Hg. von Ulrike Mansfeld, School of Architecture Hochschule Bremen (2013). Ein Weser Kurier-Bericht zum Wettbewerb findet sich noch hier: https://www.weser-kurier.de/bremen/der-kiosk-muss-bleiben-doc7e38xrqs3twrh9bibyr (Zugriff am 22.09.2022).

[3] Auf dem Google-Maps/Earth-Bildmaterial ist derzeit (September 2022) schön zu sehen, wie dort ortsüblich ein Auto neben den Fahrrädern parkt.

[4] Ein journalistischer Bericht zum Parkmanagement im Kreuzberger Görlitzer Park, ist hier zu finden: https://www.deutschlandfunkkultur.de/parkmanager-cengiz-demirci-der-coole-typ-im-goerli-100.html, Zugriff am 18.09.2022. Informationen zum Ansatz des Parkmanagement finden sich in den Antworten des Bezirksamtes auf diese Anfragen im Bezirksrat: https://gruene-xhain.de/sa-504-v-beschaeftigung-von-parkmanagern-und-parklaeufern-im-goerlitzer-park/, Zugriff am 18.09.2022.

[5] Mit welch holzschnitthaft schablonigen Ansätzen eine Problembearbeitung in politischen Institutionen angegangen wird, vermittelt diese Senatsvorlage der Senatorin für Wirtschaft und Arbeit  aus dem Herbst 2020: Vorlage für die Sitzung des Senats am 13.10.2020; Institutionelle Förderung und Mehrbedarfe der Innenstadt- und Stadtteilinitiativen in der Stadt Bremen ab 2021 (teilweise EFRE 2014-2020) sowie öffentliche Förderung weiterer Initiativen, (Zugriff und Download am 18.09.2022). Den Titel der Vorlage bitte in Google eingeben, dann hat man Zugriff darauf.