Gown for Town. Wie die Idee, die Bremer Universität in die Stadt zu bringen, aus den klebrigen Startblöcken kommen kann

Die Bremer Innenstadt hat viel vorzuweisen. Einmalige historische Bausubstanz, fast atemberaubend schöne Plätze, einen Dom und mit den Wallanlagen einen an Stellen spektakulär schönen, die Innenstadt fast vollständig umhüllenden Park. Noch mehr als zehn Jahren danach ist für mich der Ersteindruck der Wallanlagen, insbesondere des Hügels mit der blumenumstandenen Mühle, präsent. Als ich das zum ersten Mal sah, fragte ich mich, wie es sein kann, dass es solch postkartenwürdige Ansichten nur wenige hundert Meter vom Stadtzentrum gibt und wie unwahrscheinlich das eigentlich ist. Aber, wie alle Innenstädte hat sie, diese Bremer Innenstadt, Probleme, mit Strukturwandel des stationären Handels, mit dem Verschwinden ortsansässiger Einzelhändler*innen und Vermieter*innen, mit dem Auftreten und -kommen institutioneller Vermieter und mit den Hinterlassenschaften einer auf das Auto zentrierten Stadtbauweise. Insbesondere die Geschäftsmodelle der Immobilienfonds waren in den vergangenen Jahren eine Ursache überhandnehmender Langeweile. Ihre Renditeerwartungen erlaubten es nicht mehr, eine vielfältige, diverse, nutzungsgemischte Innenstadt zu entwickeln, ihr Beispiel führte nicht selten dazu, dass auch Ortsansässige an Ketten vermieteten und damit die Stadt mit Langeweile fluteten.

Und dann sind da die ganz ortspezifischen Sorgen. Die Stadt ist eingezwängt in ein Korsett stadträumlich toxischer Verkehrsachsen und -tangenten, Tiefer und Martinistraße, Brill und auch Am Wall. Überall zerschnitten, zerschneiden sie immer noch den Stadtraum. Trennen die Weser vom Stadtkern, schneiden das Nordwestende der Citylinse vom Rest ab, legten einen Schnitt zwischen Stadtleben und Wallanlagen. Atmen konnte die Stadt nicht und hinzu kamen aus rückblickender Perspektive fast stadtbauterroristisch anmutende Infrastrukturinstallationen wie der wie ein Bombenabwurffeld in die Stadttextur geknallte Rembertikreisel, der westlich der Innenstadt eine unbelebte Verkehrsflächenwüste erzeugt oder das Gewirr aus Flyovern, Teichen, Gleisen, Straßen und Sümpfen am Nordwestzipfel der Citylinse unter der letzten Brücke über die Weser. Überall dort wurden Orte geschaffen, die freiwillig niemand aufsucht und die die Stadt zerbrechen.

Die Kernstadt selbst ist, vielfach durchschnitten, in ihren Teilen sehr unterschiedlich. Im Südosten konzentrieren sich historische Bauten, der Dom das Weltkulturerbe, der Domshof und noch die wilhelminisch-preußische-Kitschtrutzburg von Polizei und Amtsgericht, dann aber nordwestlich davon schließt ein Quartier mit einer sehr fragwürdigen städtebaulichen Anmutung an. Bauten der 1970er, 80er und 90er Jahre  blockieren sich dort gegenseitig. Betonschwere Parkhausklötze dominieren mit ihren Schluchten, Überhängen und davon erzeugten Dunkelfeldern diesen Bereich des Kerns der Stadt. Dort fehlen Räume mit nennenswerter Ästhetik und vernünftiger Aufenthaltsqualität. Und dann jenseits des Brills wird ein bisschen gewohnt im Stephaniviertel und viel verwaltet in den Straßen hinter Brill und vom Fluss aus gesehen hinter dem Stephaniviertel. Auch da gibt es keinen Anschluss der Wallanlagen an die Stadt und eine abstruse Hochstraßenkonstruktion verschattet den Übergang zum Park. So bleibt der Park von der Stadt abgeschnitten, das Entstehen einer Übergangslage wird durch eine zu viel befahrene Stadtkerntangente Am Wall verhindert. Zum Glück gibt es jetzt im Rahmen der Innenstadtstrategie das Vorhaben, aus Am Wall den Boulevard zwischen dichter Stadt und Park zu machen, der er schon lange hätte werden können. Mir scheint allerdings die derzeitig dort geltende so halbherzige wie polarisierende Verkehrsführung wenig geeignet, dem Vorhaben, aus Am Wall eine lebenswürdige Stadtkante zu machen, zu Geltung und Akzeptanz zu verhelfen.

Für die Lagen an und hinter dem Brill, insbesondere für die große Problemimmobilie am Brill, gibt es die Hoffnung, mit einer Ansiedlung universitärer Nutzungen Leben in die Stadt zu bekommen. Studierende sollen irgendwie in der Stadt sein, mit ihrer Anwesenheit, der dadurch bedingten Nachfrage sollen sie dafür sorgen, dass dort Cafés gedeihen und Leben in den sonst öden Straßen ist. Dabei bleibt die Diskussion bislang von einem seltsamen Unernst geprägt, und von der Erwartung die Universität möge doch bitte als eine stadtschaffende Wundermaschine einschweben und helfen, der siechen Innenstadt beglückendes Leben zu verschaffen. Nebenbei, oder doch eigentlich in der Hauptsache, soll sie der Stadt bei einem Immobilienproblem helfen, das die Bremer Sparkasse einmal mehr, besser schon wieder, der Stadt hinterlassen hat. Bis jetzt ist fast ausschließlich eine stadtseitige Erwartungsperspektive – und das auch noch in ihrer verengtesten Form- Gegenstand des politischen Streits. Einzig die Grüne Fraktion fragt nach, ob es denn wirklich unbedingt dieses Gebäude sein muss und ob der Diskurs sich nicht etwas offener gestalten lässt.

Was dabei für die Universität drin ist, warum sie das machen sollte und welche ihrer Teile vernünftigerweise all das tragen würden, bleibt bis jetzt weitestgehend unbesprochen. Und dies, obwohl die Idee, die Universität in die Stadt zu bringen, seit nunmehr fünf Jahren in der Welt ist.[1] Entsprechend lau reagiert bisher die Universität und bringt damit die erwartende Landespolitik in eine unbequeme Situation. Anlässlich der Gründung der Bremischen Universität hieß es, Universität und Stadt gehörten nicht zusammen, Stadtrandlage sei zwar für „deutsche Verhältnisse ungewohnt, da die traditionsreichen alten Universitäten zumeist eng mit ihren Universitätsstädten verklammert sind“, aber „dies sich heute allerdings angesichts der Verstopfung der Städte durch den modernen Verkehr und das schnelle Wachstum aller Universitätseinrichtungen als schwerer Nachteil“ herausstelle und in vielen Städten zum Auszug der Universitäten zwinge.[2]

Die stadtentwicklerische Logik, die der Einrichtung der Bremer Universität zugrunde lag, war also fest in der Charta von Athen[3] verwurzelt, dann aber noch mit einem Reif universitären Wesensgeredes umhüllt worden, in dem von Einsamkeit, Freiheit, Weltabgewandtheit schon der platonischen Akademie die Rede war. Aus heutiger Perspektive lustigerweise hinderte das damals niemanden, den lauschigen ruhigen Campus gleich neben die schon in der NS-Zeit gebaute und Anfang der 1960er Jahre ausgebaute und verbreiterte Blocklandautobahn zu platzieren. So als störe zwar der Lärm der verstopften Stadt den Wandel der Akademie, nicht aber das sanfte Rauschen der Autobahn.

Aber zurück ins Heute: Ob die Campusuniversität auf dem Blocklandacker ein Irrweg war, ob mit der Stadt verzahnte Universitäten wie etwa in Leipzig oder Jena heute einer Wissensgesellschaft sein wollenden Gesellschaft viel gemäßer sind, das ist die eine Frage. Die andere ist, wie Bremen dahin kommt, Stadt und Universität und Hochschule engmaschiger miteinander zu verzahnen. Bei der Hochschule ist das ohnehin schon gegeben, für die Universität braucht es noch Lösungen. Ob das Brillgelände Teil der Lösung oder Teil des Problems sein kann, wird vielleicht die in wenigen Wochen im Juli dann vorliegende Machbarkeitsstudie zeigen. Wenig spricht dafür, im Brillgelände die einzige Lösungsidee für die zu bewältigende Aufgabe zu sehen, allein schon, um die Realisierung der Idee Universität in die Stadt nicht vom Wohlwollen eines einzigen Immobilieninvestors abhängig zu machen.

Letzteres würde dem ganzen Projekt auch einen zu starken immobilienwirtschaftlichen Problembezug ankleben und der Stadt die Chance nehmen, neu auszuhandeln, wie sie sich auf Wissenschaft beziehen will und dabei auch zu klären, welche Wissenschaft sie in ihren Mauern haben will. Es ist auch davon auszugehen, dass die Universität wenig geneigt sein wird, der Stadt einfach nur bei der Lösung eines immobilienwirtschaftlichen und stadträumlichen Problems zu helfen. Eine geschickte Universitätsleitung würde sich diese Art Mitwirkung bezahlen lassen und eine kluge Wissenschaftspolitik würde sich darum bemühen, in der betreffenden Frage andere Medien als nur Geld wirksam werden zu lassen.

Wenn sich nun Parteien mit der Frage, wie es denn weitergehen soll, mit den Umzugsplänen der Universität befassen, ist das erst einmal zu begrüßen, denn das heißt, es wird erst einmal diskutiert und wo diskutiert wird, können Ideen und Umsetzungsgelegenheiten entstehen. Ob es reichen wird, den Prozess erfolgreich zum Ziel zu bringen? Ich weiß es nicht. Meine Vermutung ist, es wird nicht reichen, vor allem, weil es niemanden gibt, der hinreichend motiviert ist, ein gutes Ergebnis auch zu wollen und darin für sich eine Hauptsache zu sehen. Aus Sicht der Universität als ganzer ist nicht viel zu gewinnen, und einzelne Fakultäten stehen vor der Frage, ob es ihnen wirklich nutzt, den Blocklandcampus zu verlassen und weiter weg vom Rest der Universität in der Innenstadt zu sitzen.  Mit anderen Worten: Ein Teilumzug der Universität in die Innenstadt und eine davon begünstigte Innenstadtentwicklung wird solange nicht kommen, wie dieses Vorhaben für alle Beteiligten eine Nebenangelegenheit bleibt, mit der vielleicht manches zu gewinnen ist, der aber auch Risiken anhaften.

Anders gewendet: Ein Akteur, der ein starkes Interesse hat, mehr Teile der Hochschule oder gar Teil der Universität in die Innenstadt zu bringen, wird sehr gebraucht.[4] Nicht minder wichtig ist es, eine echte Perspektive, die über das Lösen immobilienwirtschaftlicher Kalamitäten und die Idee, dass Studierende im Inneren der Stadt irgendwie mehr Cappuccino trinken sollten, hinausgeht zu entwickeln. Vermutlich ist auch eine Verengung der Debatte auf die eine Sparkassenimmobilie am Brill schädlich. Stattdessen braucht es eine viel breitere Debatte, die ganze Innenstadt und die Bedürfnisse der Universität im Auge habende Debatte, wer aus welchem Grund wie an welchem Ort der Innenstadt Hochschulbetrieb aufbauen soll und aufbauen wollen kann.

Und es erscheint mir nötig, diese Debatte institutionell zu unterstützen und engagiert zu moderieren. Ob in Form eines Sonderbeauftragten in der Universität oder im Zusammenhang des neuentstandenen Projektbüros Innenstadt, das vielleicht eine Außenstelle in der Universität einrichten könnte, sei dahingestellt, muss aber diskutiert werden. Debatte und Projekt brauchen jedenfalls einen Akteur, dessen primäre Aufgabe es ist, Hochschulbetrieb in die Stadt zu bringen. Denn angesichts der Lage der Innenstadt, angesichts der Erfordernis, dass dort jetzt Weichen gestellt werden müssen, um Zukunftsprozesse aufs Gleis zu setzen, muss das schneller gehen als bisher, noch weitere fünf Jahre Zeit dafür hat die Stadt eigentlich nicht.

 

[1] Vergl. die aktuelle Senatsantwort auf die parlamentarische Anfrage der Grünen Bürgerschaftsfraktion zum Stand der Planungen zum Teilumzug der Universität in die Innenstadt; Bremische Bürgerschaft Drucksache 20/705S vom 31.05.2022; . URL: https://www.bremische-buergerschaft.de/drs_abo/2022-06-01_Drs-20-705%20S_a56ff.pdf, S. 3; Zugriff am 10.06.2022.g.

[2] Werner Rothe (1961): Über die Gründung einer Universität zu Bremen. Denkschrift. Vorgelegt der Universitätskommission des Senats der Hansestadt Bremen, S. 70.

[3] Ein auf dem in der Nähe von Athen stattfindenden Städtebaukongress 1933 konsentiertes Papier, das eine Trennung von Wohnen und Arbeiten vorsah.

[4] Dafür, dass das so ist, spricht auch die Zähigkeit und fast quälende Langsamkeit bzw. Stagnation des Entscheidungsfindungsprozesses. Schon Anfang 2018, also vor vier Jahren, hatte der Prozess schon längst begonnen. Online nachschauen kann man das hier: https://www.bauumwelt.bremen.de/sixcms/media.php/13/SKB_2018_0305_Dokumentation_Download.pdf.